Die Umsetzung der Bio-Ideologie

Der Unterschied von Bio zu IP-Suisse - zwei Höfe im Vergleich

Abbildung 1: Die bunte Auswahl im Hoflädeli von Mosers Biohof
Abbildung 1: Die bunte Auswahl im Hoflädeli von Mosers Biohof

Die Freiheit ihres Berufes verbindet die beiden, und doch könnten Prinzipien ihren Alltag nicht unterschiedlicher machen. Während sie aufs Feld geht und von Hand die Bio-Erdbeeren pflückt, fährt er mit der Pestizidspritze übers Zuckerrübenfeld.

Kupfer & Kompromisse

Eine Nachbarin kommt herein, sie wird herzlich begrüsst. Wo denn die Erdbeeren seien, fragt sie und wird freundlich zum kleinen Hofladen vor dem Haus gewiesen: «Die Erdbeeren habe ich schon nach unten gebracht». Im Hofladen findet man nicht nur Erdbeeren, Karotten, Salat und noch mehr Früchte und frisches Bio-Gemüse, sondern auch selbstgemachten Bio-Tofu, Karottenlachs, Most, diverse Hülsenfrüchte und Getreide.

Durch eine schlichte Tür geht es in die einladende Küche mit dem angrenzenden Esszimmer des schönen Biohofs Trimstein. Der ganze Raum hat eine helle, warme Holztäfelung und über den Köpfen stützen massige Balken die Decke. An der Wand neben dem Esstisch hängt ein leerer Kartoffelsack, auf dem steht: «Mosers Biohof seit 2015».

Völlig anders als es das Klischee besagt, studiert Katrin Portmann zuerst studiert und anschliessend arbeitet sie in einem Büro, erst später kommt sie zu ihrem Partner auf den Hof. Sie trauere dem Bürojob kein bisschen nach, meint sie. Durch Katrin Portmann entstand die Idee den Hof auf Bio umzustellen. Der Hof verwandelt sich von einer einseitigen Milchproduktion zu einem vielfältigen Biohof mit vielen verschiedenen Produkten. Eines bleibt aber gleich: Es muss viel Arbeit auf dem familiären Hof erledigt werden. Diese Arbeit wird nebst Katrin Portmanns Familie auch noch von einer Aushilfe und Lehrlingen unterstützt. Die Aufgaben sind mit einem Tages- und einem Wochenplan strukturiert, sie sind abwechslungsreich aufgeteilt, damit die Lernenden verschiedene Einblicke bekommen und alle Arbeiten einmal erledigt haben.

Eines ihrer Produkte sind Erdbeeren. Diese werden immer mit einem Regendach vor Regen, Wind und Hagel geschützt. Doch in Jahren wie in diesem ist es schlicht zu feucht, die Erdbeeren beginnen zu faulen. Um dies zu vermeiden, ist der Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln wie Kupfer oder Kaliumkarbonat bei gewissen Früchten und Gemüsen unvermeidbar. Kupfer bleibt zwar im Boden, jedoch hat es keine synthetischen Giftstoffe, die ins Trinkwasser kommen. Obwohl Mittel wie beispielsweise Kupfer von Bio Suisse zugelassen sind, werden sie laut Katrin Portmann nur eingesetzt, wenn es wirklich nicht anders gehe. Sie führt vor Augen, dass es immer ein Abwägen sei, ob man Pestizide einsetze oder nicht. «Manchmal muss Kupfer eingesetzt werden, aber dann nur in geringen Mengen», erläutert Katrin Portmann, «es ist der beste Kompromiss.»

Labels & Co.

Ein Label ist ein Zertifikat. Es garantiert, dass die festgelegten Standards eingehalten werden. Die Kontrollen des Biolabels sind laut Katrin Portmann sehr seriös. Sie kritisiert aber, dass neben dem Management auch die Biodiversität geprüft werden müsse. Bei den Kontrollen wird geschaut, ob die Vorschriften eingehalten werden, z.B. das Datum beim Mähen. Jedoch werden nicht die verschiedenen Arten von Pflanzen und Blumen gezählt oder der Humusgehalt gemessen. Bei der ergebnisorientierten Kontrolle wird die Biodiversität gemessen. Das Problem dabei ist, dass auf einem benachbarten Feld vielleicht gespritzt wird, was die Diversität einschränken würde. Messungen könnten dadurch verfälscht werden.

Der Bioanbau ist oft mit viel Handarbeit verbunden, in der brennenden Sonne beim Unkraut jäten oder wenn die Wolken aufziehen und bei Regen noch die Karotten geerntet werden müssen. Auch werden die Erdbeeren von Hand gesäubert. Dieser Aufwand macht oft einen Preisunterschied aus, denn bei der IP-Suisse Landwirtschaft sei alles viel automatisierter. Katrin Portmann vertritt die Meinung, dass unsere Gesellschaft zu wenig Wert auf das Essen legt: «Wenn man beim Essen spart, muss jemand anderes den Preis dafür bezahlen, sei es heute oder morgen. Wenn man die Produktionsweisen selbst erleben würde, wäre man wahrscheinlich weniger entkoppelt.» Ein konkretes Beispiel dafür ist die Milchproduktion. Wenn man nicht Bio oder Demeter einkauft, ist die Milch natürlich viel günstiger. Damit diese Milch günstiger ist, bezahlen die Kühe mit ihrem Leben. Katrin Portmann erklärt ein Grossteil der Konsument:innen könnten keinen Tag in solch einem Stall aushalten, weil die Bedingungen dort so schlimm seien. Viel zu viele Kühe in dem Raum, Körper an Körper, mit dem Kopf durch die Gitter zum Futtertrog. Daneben die Kühe an der Melkstation, an ihren Zitzen die Abpumpgeräte. Manche würden bei dem Anblick sofort nur noch Biomilch konsumieren oder sogar ganz auf Milchprodukte verzichten. Doch die breite Bevölkerung sehe nicht, was hinter den Stalltüren geschieht, und wollle es auch nicht sehen.

Die gängigsten Labels sind Demeter, Bio Suisse und IP-Suisse. Der Bio Suisse Standard setzt voraus, dass auf natürliche Kreisläufe und Prozesse sowie auf Nachhaltigkeit, Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit Rücksicht genommen wird. Damit das eingehalten werden kann, gibt es Auflagen und Kontrollen. Gemäss dem Bundesamt für Statistik sind 2023 in der Schweiz 19 Prozent aller Bauernhöfe Bio zertifiziert. Die Auflagen des Demeter Labels reichen noch weiter als die von Bio Suisse und gelten auch weltweit.

In den Medien taucht immer wieder der Begriff der konventionellen Landwirtschaft auf. Damit ist aber meistens IP-Suisse gemeint. Das führt zu Unklarheiten, denn in der konventionellen Landwirtschaft gelten nur die gesetzlichen Mindestanforderungen. Die IP-Suisse Vorschriften gehen deutlich weiter als das gesetzliche Minimum. Sie erlauben aber mehr Pestizide als Bio Suisse. Das Ziel von IP-Suisse ist es, zwischen biologischer und konventioneller Landwirtschaft zu stehen.


Produktion & Politik

Marcel Schott ist ein Saatgutproduzent, der seine Felder im Seeland bewirtschaftet. Alle Landwirt:innen, die Getreide anpflanzen, benötigen dieses Saatgut. Marcel Schott vermehrt Saatgut von Gerste und Weizen, welches er nach der Ernte in zwei Ladungen nach Lyss in die Annahmestelle bringt. Mit dem Traktor fährt er mit maximal 30km/h während fast zwei Stunden. Dort angekommen wird das Getreide zuerst abgeladen, dann von Insekten und Schmutz gereinigt, gebeizt, also mit Pflanzenschutzmitteln gegen Krankheiten und Pilze behandelt und abgepackt als Saatgut im nächsten Jahr.

Der IP-Suisse Bauer besitzt 46 Hektaren Land, das ist ungefähr so viel wie 64 Fussballfelder. «Ein mittlerer Betrieb» meint Marcel Schott. Ein Betrieb, der ohne Pflanzenschutzmittel weder bewältigbar noch gewinnbringend wäre. Im Jahr 2021 standen zwei Initiativen an, nämlich die Trinkwasser-Initiative und die Initiative gegen synthetische Pestizide. Diese Initiativen sorgten für viel Aufruhr im Volk und waren sehr umstritten. Das spürte auch Marcel Schott, denn auf einigen Strassen neben den Betrieben im Seeland wurden Parolen mit roter Farbe gesprayt. « Fungizid-Gift für alle» stand vor Marcel Schotts Hof. Dieses Thema war sehr durch Emotionen geprägt, auch wurden ihm negative Kommentare nachgerufen, als er mit der Spritze zum Feld fuhr.

Dieser Hass auf die sogenannten «Gift-Barone» verzog sich aber rasch wieder, als die Situation mit der Corona-Pandemie immer kritischer wurde. Die meisten Lebensmittel, die in der Schweiz produziert werden, sind IP-Suisse zertifiziert. Mit diesem Label ist eine grössere Produktion möglich. Ohne diesen Grossanbau von Lebensmitteln hätte sich die Schweiz noch schlechter versorgen können, als sie es ohnehin schon tat, und noch mehr hätte importiert werden müssen. Schon bald nach den Abstimmungen erlangt das Coronavirus wieder Oberhand in der öffentlichen Diskussion. Die Lebensmittelproduktion der IP-Suisse Landwirt: innen wurde wieder wertgeschätzt, da die Lebensmittelknappheit plötzlich greifbar nahe war. Marcel Schott und viele Landwirt: innen verspürten eine Erleichterung.

Doch der Umschwung in der Politik ist schon vor der Pandemie in vollem Gange, Marcel Schott erzählt von den Konsequenzen, die er erfuhr. 2019 wurde ein Insektizid verboten, mit welchem die Zuckerrübensetzlinge umhüllt wurden. Dieses gelangte in die Zuckerrübe, wenn sie wuchs, und schützte sie zuerst vor Insekten und Unkraut, danach vor Krankheiten. «Man möchte immer weniger Pflanzenschutzmittel benutzen, doch das ist kontraproduktiv: Jetzt muss ich die Zuckerrüben drei- bis viermal spritzen, statt einmal beizen.» Auch seien die Setzlinge viel schwächer und angreifbarer. Das Wachstum sei zu Beginn sehr eingeschränkt und auch die Blätter leiden merklich. Das wiederum senkt den Verkaufspreis, da dieser durch Gewicht und Zuckerhalt der Zuckerrüben bestimmt ist. Der IP-Bauer hat deswegen im Jahr nach dem Inkrafttreten des Gesetzes 20'000 Fr. weniger Gewinn gemacht.

Abbildung 2: Von Schädlingen befallener Zuckerrübensetzling
Abbildung 2: Von Schädlingen befallener Zuckerrübensetzling
Abbildung 3: Zuckerrübenpflanze 14 Tage nach Schädlingsbekämpfung
Abbildung 3: Zuckerrübenpflanze 14 Tage nach Schädlingsbekämpfung

Die Bio-Utopie

Für eine mehrheitlich biologische Schweizer Landwirtschaft ist es zuerst wichtig, den Import zu minimieren, die Eigenproduktion zu steigern und erst dann auf Bio umzusteigen. Mit neuen Technologien, wie beispielsweise dem vertikalen Farmen, also anbauen an Flächen von hohen Gebäuden, z.B. Hausfassaden, Balkonen und Dächern, oder genauen Bewässerungssystemen würde die landwirtschaftliche Produktivität erheblich gesteigert werden. Um Emissionen durch den Transport zu minimieren, müsste auch weitestgehend von allen regional und saisonal eingekauft werden. Durch diese Massnahmen wäre die Schweiz in der Lage, sich weitgehend biologisch und eigenständig zu versorgen, gleichzeitig aber auch klimafreundlich und nachhaltig.

Zuhause im Alltag

Wie die Nahrungsmittel hergestellt werden, ob Bio oder IP-Suisse, das Thema betrifft alle. Es existieren viele verschiedene Ansichten, Überzeugungen, was ideal und umsetzbar wäre. Dass alle Lebensmittel Bio und nachhaltig hergestellt werden, ist in der Gesellschaft noch nicht möglich. Dafür muss der Wert des Essens neu definiert werden. Das Essen sollte als ein wertvolles Gut angesehen werden, und man müsste sich im Klaren sein, dass diese Nahrungsmittel täglich zur Verfügung stehen und darüber nachdenken, woher sie kommen und wie sie produziert werden. Ideal wäre es natürlich, wenn die Produkte immer aus dem Biolädeli von nebenan kommen. Jedoch haben nicht alle die Mittel dazu, und da muss man für sich abwägen, was und wie viel man sich leisten kann. Es ist schon ein guter Schritt Richtung ökologische Landwirtschaft, wenn alle möglichst saisonal und lokal einkaufen. Oft findet man in kleinen Bioläden, frische, feine, und sogar neue Produkte, die man noch nicht kennt, wie beispielsweise den Karottenlachs im Hoflädeli von Katrin Portmann.

Abbildung 4: Lachs-Karotten im Hoflädeli
Abbildung 4: Lachs-Karotten im Hoflädeli
Abbildung 5: Bezahlung via TWINT
Abbildung 5: Bezahlung via TWINT

Quelle Abbildung 0, Titelbild : Eigene Aufnahme

Quelle Abbildung 1: Eigene Aufnahme

Quelle Abbildung 2: Aufnahme Marcel Schott

Quelle Abbildung 3: Aufnahme Marcel Schott

Quelle Abbildung 4: Eigene Aufnahme

Quelle Abbildung 5: Eigene Aufnahme